Sie hat schon ein feines Programm ausgearbeitet, die junge Volljuristin Antonia Ruck. In Goldkronach geht‘s oft um Alexander von Humboldt, dem das örtliche Alexander von Humboldt-Kulturforum durch Veranstaltungen vielerlei Art seine Reverenz erweist, weil der kleine Ort nördlich von Bayreuth (wo der damalige Bergbauinspektor seine zentralen Diensträume hatte) untrennbar mit dem Namen des späteren Weltreisenden und Erforschers verbunden ist. Nun also gab es einen Liederabend mit Freunden von Alexander von Humboldt, erdacht und ausgeführt von Antonia Ruck (26 Jahre jung, 3. Preis bei Jugend musiziert, ehemaliges Mitglied der Singwerkstatt Stadtbergen bei ihrer Heimatstadt Augsburg), die sich tief in die Literatur einfuchste, um Werke von den beiden Schumanns, Mendelssohn und seiner Schwester Fanny und sogar von Franz Schubert auf den dramaturgisch ausgepichten Zettel setzen zu können.

Doch wieso Schubert? Kannte Humboldt Schubert, schätze er seine Lieder? Wir wissen nichts darüber, aber über Goethe lässt sich eine Verbindung stiften, denn die Humboldts, insbesondere der Naturforscher, waren mit Goethe gut bekannt und schätzten sich – der Nebeneffekt von Wandrers Nachtlied (egal ob in Schubert früher oder zweiter Vertonung) liegt darin, dass Goethes Gedicht in Daniel Kehlmanns Humboldt- (und Gauss-)Roman Die Vermessung der Welt Erwähnung findet. Mendelssohn wiederum wurde von Humboldt in Sachen Karriere in Berlin gefördert, dass drei Heine-Gedichte in Liedvertonungen auf dem Programm stehen, verdankt sich der Tatsache, dass Humboldt auch Heine mehrmals traf, Fanny Mendelssohn-Hensel besuchte 1827 seine berühmte Kosmos-Vorlesung in Berlin, auch besuchte er die berühmten Sonntagsmusiken bei den Mendelssohns, zu denen er, bekennender Anti-Antisemit, schon vorher gute Beziehungen hatte, und Schumann lieferte Beiträge zur Errichtung des Bonner Beethoven-Denkmals, zu dessen Einweihung im Jahre 1845 auch Humboldt anreiste. Und wenn ein Pianist seine Ausschnitte aus den Kinderszenen mit dem ersten Stück, also Von fremden Ländern und Menschen beginnt, kann humboldtianisch eh nichts mehr schiefgehen – dass ein Lied von Meyerbeer, dem Humboldt durch einen engagierten Brief an seinen König zum Orden Pour la mérite verhalf, und dessen Pariser Uraufführung von Robert le diable er dem Komponisten begeistert anzeigte, an diesem Abend fehlte, kann verschmerzt werden. Denn wenn Kirill Kventniy, Lehrbeauftragter am Leopold-Mozart-Zentrum der Universität Augsburg im Fach Korrepetion Gesang, die junge Frau begleitet (zwischendurch ein paar Kinderszenen und die Träumerei mit auffallenden Ritardandi spielt), lauschen wir einem Gesang, der dort ganz zu sich kommt, wo er im oberen Sopran-Bereich weit und bruchlos ausschwingt. Ansonsten setzt Antonia Ruck auf vorsichtige Phrasierungen und einen zarten Ton, auf eine vokal leicht offene und sehr jugendliche Artikulation, die die Naivität von Schuberts Gretchen und die Emphase in Fanny Hensels kurzem Gondellied am besten zu fassen weiß. Das größte Potential aber scheint mir in den höheren Regionen ihrer Stimme zu stecken, wo sich das in doppeltem Forte aussingende Espressivo am schönsten macht.

Langer Beifall, zwei Zugaben: noch einmal das Gondellied und noch einmal Clara Schumanns Lorelei. Für Humboldt ist der mystische Felsen am Rhein ein Ort der Geologie gewesen, aber auch eine der schönsten sieben Weltgegenden, die er kannte. Für die dankbaren Zuhörer des Abends war er eine romantische Liedperle, die nach dem Schlussakkord von Schumanns Mondnacht das Spektrum der romantischen Lieder um eine eher unbekannte Trouvaille reizvoll erweiterte.

Verfasser: Dr. Frank Piontek